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Constantia Rubens

Porträt von Rubens' jüngster Tochter, Herbst 1683

Mein Erscheinen auf der Welt wurde sehnsüchtig erwartet, denn ohne mich konnte das Erbe nicht verteilt werden. Es ging dabei um ein großes Erbe, auch wenn durch mich der Anteil der anderen etwas kleiner wurde.

Er hat mich nie gesehen

Von mir gibt es leider kein Porträt. Ich habe aber als Kind herrliche Porträts von meinen großen Halbbrüdern Albert und Nicolaas und von meinen Schwestern und Brüdern Clara-Johanna, Frans, Isabella-Helena und Peter Paul gesehen, die alle mein Vater gemalt hat. Mich hat er nie gesehen. Mein Kindergesicht hat keine Meisterhand mit einigen sanften Pinselzügen verewigt und meine Mutter hat wieder geheiratet, den Herrn van Bergeyck. Sie bekam eine neue Familie und ich saß zwischen zwei Stühlen.

 

Ein eigenes Zuhause

Seit meinem elften Lebensjahr wohne ich im Kloster ter Kameren in der Nähe von Brüssel. Ja, ich bin sehr jung ins Kloster eingetreten, um endlich ein eigenes Zuhause zu haben. Ich bin hier zur Schule gegangen und wollte bleiben. Meine Mutter fand die Entscheidung gut, jeder eigentlich. Ich habe das Armutsgelübde abgelegt, dann ist es nicht mehr so schlimm, dass es kein Porträt von mir gibt. Albert und meine Mutter besuchen mich manchmal.

Wir sind hier über dreißig Nonnen. Wir stehen früh auf, singen und beten im Chor. An normalen Tagen erhalten wir zwei Mahlzeiten pro Tag, immer ohne Fleisch, und an Fastentagen eine Mahlzeit. Im Winter dürfen wir einen Pelzmantel tragen, Gott sei Dank, denn es kann hier ganz schön kalt sein.

Unsere neue Äbtissin gibt sich große Mühe, unsere Finanzlage zu verbessern, der Krieg hat das Kloster an den Rand des Ruins gebracht. Als sie gewählt wurde, war ich auch eine der Kandidatinnen, aber Claire Schetz hatte bereits einen guten Ruf als Wirtschaftsspezialistin. Sie ist sehr streng und spart überall, das könnte ich nicht. Sie muss ihre Tage zwischen den Kassenbüchern verbringen, die Korrespondenz erledigen, Besprechungen und Prozesse führen und mit den Pächtern reden, deren Ernte von den Soldaten zertrampelt wurde. Sie führt genauso ein Leben wie meine beiden Halbbrüder.

 

Das erste Zeichen des Elends

Vor zehn Jahren, an einem schönen Sommertag im Jahr 1673, haben wir die ersten Anzeichen des Elends gesehen. Wir hörten Trompeten und Trommeln, das Getrappel von Pferdehufen, wehende Fahnen. Es schien, als ginge die Welt unter hier in unserem ruhigen Zonienwald. Wir rannten zum Tor. Viele Reihen von Musketieren in roten Mänteln trabten vorbei. Und dann haben wir ihn gesehen, den König von Frankreich, Ludwig XIV. Er befahl seinem Pferd, sich vor uns aufzubäumen und zog höfflich seinen weißen Federhut vor uns. Wir machten alle einen tiefen Hofknicks. Hinter ihm ritt ein herrliches Gefolge aus Prinzen und Herzögen, dann folgten die Soldaten. Sie waren unterwegs nach Maastricht zu einer Schlacht. Nach der ersten Schlacht kommt die nächste, das weiß man hier in Brüssel nur all zu gut.

 

Die Erinnerung an die warmen Farben

Kriege dauern so lange. Sie ruhen im Winter, aber dann haben wir andere Probleme. Trotzdem freue ich mich auf den Feiertag des heiligen Bischofs, der hier vor langer Zeit als Einsiedler gelebt hat. Es ist der 19. Februar. Dann feiern wir trotz der Kälte unseren Bonifatius von Brüssel und tragen seinen Reliquienschrein auf unseren Schultern zu der Stelle, an der seine Hütte stand. Die Leute aus der Gegend feiern mit uns. Dann bin ich glücklich. Oft schöpfe ich auch Kraft aus dem Leiden, das Aleidis von Schaarbeek, eine andere Heilige unseres Klosters, mutig ertragen hat. Sie wurde blind. Auch wenn ich einmal erblinden sollte, werde ich mich noch an die warmen Farben mancher Gemälde erinnern, an die Farben der liebevoll gemalten Kinderporträts, die ich im Haus meiner Mutter sah. Die Einzelheiten habe ich jedoch vergessen.